Kann Fotografie die Welt verändern? – Sie kann, und zwar weil sie die Art verändert, wie wir die Welt sehen.

Ich praktiziere eine Art «straight photography» der eigenen Art. Einerseits bemühe ich mich, niemals zu lügen, das heißt, irgendetwas von dem, was ich fotografiere, zu manipulieren, indem ich es etwa verschieben oder anders beleuchten würde. Niemals fasse ich etwas an, was ich fotografiere. Andererseits ist es meine Absicht, dem realen Motiv so viel von seiner banalen, festen Alltagsform zu nehmen wie es geht und es dann in einer neuen Welt, nämlich der des Bildes, wiederauferstehen zu lassen. Es sind Versuche, auch im letzten Dreckhäufchen die Schönheit der Welt aufscheinen zu lassen.

Ich beobachte die Wirklichkeit, aber ich brauche am Ende doch das Bild; nicht um zu sehen, ob das, was ich gesehen habe, im Bild enthalten ist, sondern ob sich im Bild mir das offenbart, was ich in diesem Motiv nur geahnt habe. Insofern sind mir meine Bilder Erkenntnishilfen – sie geben nicht Sichtbares wieder, sondern machen sichtbar.

Interessant ist es, daß beim Sprechen über fast alle bekannten künstlerisch arbeitenden Fotografen hervorgehoben wird, daß sie sich für die «scheinbaren Nebensächlichkeiten» interessieren. Für mich gibt es nichts Wichtigeres als diese «Nebensächlichkeiten»: Wenn Fotografie etwas leisten kann, dann ist es Subversion, und die besteht darin, nicht in die Richtung zu sehen, in die gezeigt wird.

Warum fotografieren? Warum nicht etwas anderes machen: malen beispielsweise? Warum fotografieren, wenn es keinen Auftraggeber und keinen Abnehmer für die Bilder gibt? Warum fotografieren, wenn anscheinend doch schon alles fotografiert ist? Wenn eine Bilddatenbank damit wirbt, dass sie 10.000 neue Bilder hat – und zwar täglich – das Stück zu 21 Cent?
Das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit hat sich um eine Dimension erweitert: Es werden nicht mehr massenhaft Kopien eines Motivs verbreitet, sondern die Motive selbst werden systematisch und großindustriell erzeugt. Wozu also noch mehr Zeit und Material verschwenden und noch mehr Bilder herstellen? – Natürlich werden immer Fotos gebraucht werden; wovon ich hier reden will, meint aber nur einen winzigen Ausschnitt aus dieser Bildproduktion, nämlich die sogenannte „Kunstfotografie“, die für sich aber auch schon riesige Bilderberge angehäuft hat.
In einem fühle ich mich wie alle Menschen mit einem Fotoapparat: Der Impuls, zur Kamera zu greifen, wenn irgendetwas geschieht, scheint tief in uns verwurzelt zu sein, so als wäre die Massenfotografie zwar erst vor hundert Jahren ans Licht getreten, aber schon immer im menschlichen Genom angelegt gewesen. Es ist ja schon alles fotografiert worden, aber jeder will es noch einmal fotografieren, nur für sich selbst und da es so einfach ist, tut er es auch. Jeder will SEIN EIGENES Bild haben, sich ein eigenes Bild MACHEN. Das ist nahe an den Basisaffekten des Menschen allgemein: Jeder hat für sich alleine seinen eigenen Hunger, seinen eigenen Liebeskummer, sein eigenes Fern- und Heimweh, und jeder hat ein Recht auf einen Ausdruck für diese Gefühle. Interessant ist es zu untersuchen, was mit diesen Bildern nach ihrer Anfertigung geschieht: werden sie einfach nur weggespeichert und dann vergessen?
Verhält es sich aber tatsächlich so, dass man es „nur für sich selbst” noch einmal fotografiert? Ist ein Bild nicht auch ein Kommunikationsmittel? Kann es sein, dass ich mir sage: das muss ich dem oder der oder einfach nur irgendwem zeigen – wem in der Familie will ich mitteilen, wie die Weihnachtsbescherung war, wo doch alle dabei waren? Oder geht es vielleicht um die Erinnerung, das Festhalten eines Augenblicks, der eine Bedeutung hat (oder dem wir eine wünschen)? Warum riskiert man, dass diese wertvollen Augenblicke nicht das nächste Systemupdate überleben? Lässt sie auf veraltenden Speichermedien liegen, bis es keine Lesegeräte mehr dafür gibt? Geht damit noch achtloser um als meine Mutter, die das Wenige an Bildern, was der Familie nach der Flucht aus Königsberg, Ostpreußen, noch übrigblieb, ungeordnet in einem Schuhkarton aufbewahrt? Diese Bilder – weil auf Papier – sind aber auch nach neunzig Jahren noch ohne irgendwelche Hilfsmittel ansehbar. Die heutigen verschwinden vielleicht so schnell und schmerzlos wieder, wie sie gemacht wurden.
Aber kaum habe ich diese Impulsverwandschaft festgestellt, fangen auch schon die Unterschiede an. Zum Einen bin ich noch nie in der Lage gewesen, ein zufriedenstellendes Erinnerungsfoto zu machen, weder ein Porträt noch eine soziale Situation, weder eine Landschaft noch ein Interieur. Immer fehlt etwas, was auf solchen Bildern das Wichtige ist; die Menschen, die mich um derartige Bilder bitten, sind regelmäßig enttäuscht. Warum das so ist, hat damit zu tun, dass wichtige Sachen nicht immer wichtig aussehen und andererseits im Unwichtigen sich etwas Wichtiges visualisieren kann. Auf diese Glücksmomente bin ich angewiesen – mit den Worten von Robert Adams: „Useful Pictures don’t start from ideas. They start from seeing.“
Zum Anderen ist es der Anspruch an die Dauerhaftigkeit der Bilder: Ein Bild ist erst dann ein Bild, wenn es sich materialisiert hat, wenn es ein Gegenstand geworden ist, „wenn man es an die Wand hängen kann“.
Und zu guter Letzt: Ich reagiere nicht nur bewusst auf die Bilder, die vor der Kamera sind, sondern auch auf die, die dahinter, in meinem Kopf sind: Alles, was ich jemals an Fotos gesehen habe, bestimmt die Form eines neuen Bildes mit – als Kommentar, als Bestätigung, als Antithese, als Parodie. Damit bin ich nahe an dem, was die Fotografie ausmacht – so wie Ernst Gombrich Heinrich Wöfflin mit dem Satz zitiert: „Jedes Bild verdankt anderen Bildern mehr als der Natur.“ In der Malerei ist es relativ offensichtlich, wie sich die Ansammlung von Bildwissen im Laufe der Zeit vollzieht. In der Fotografie ist das nicht so leicht sichtbar, weil die angebliche Naturtreue der Wiedergabe das Haupthindernis zur Erkenntnis des eigentlichen Wesens einer Fotografie ist. Es geht im Grunde um das Abbilden von Gegenständen und Sachverhalten, die andere schon längst entdeckt haben, mit Methoden und Geräten, die technisch definiert sind, um Bilder zu erhalten, die sich an anderen Bildern orientieren, die sich wiederum an Bildern aus anderen Medien orientiert haben. Mit anderen Worten, denen von Vilem Flusser: der Fotograf wird zum Funktionär seiner Kamera und führt in den allermeisten Fällen nur das Programm seines von der Fotoindustrie programmierten Apparates aus.
Lisette Model beklagte dies treffend, aber ungerecht, als sie anmerkte, das jeder zeitgenössische Fotograf (das war Anfang der 80er Jahre) angebe, „Menschen“ zu fotografieren, aber dabei nur Bilder reproduziere, die andere schon von Menschen gemacht hätten. Den wirklichen Menschen würden sie gar nicht betrachten. Das ist ebenso so richtig wie falsch. Einerseits fordert es die aufrichtige Beschäftigung mit der Wirklichkeit. Andererseits behauptet aber dies die Möglichkeit, die „Außenwelt“ unverdorben und unvoreingenommen wahrnehmen zu können, was aber niemand leisten kann. Ohne die Bilder, mit denen jeder Mensch aufwächst, hätte er überhaupt kein Sensorium für die Wahrnehmung der Welt, wäre also unfähig zur Erzeugung von Bildern. Natürlich ist es wahr, dass Bilder nicht nur aus Bildern produziert werden sollten. Fotografie ist aber von Natur aus zitierend, das heisst sie kommt nicht ohne ein Motiv vor der Kamera und nicht ohne eine Bildvorstellung hinter der Kamera aus.
Fotografie ist schwerer als andere Künste als „Schöpfung“ zu erkennen, weil ihre Eigenschaft als „Abbildung“ dies zu stark verdeckt. Die Gegenständlichkeit ist das größte Hindernis bei der Betrachtung von Fotos: Es ist wie mit den sogenannten „falschen Freunden“, mit denen Dolmetscher zu kämpfen haben, wenn sie in amerikanischen Filmen hartnäckig „fishing“ mit „Fischen“ statt mit „Angeln“ übersetzen – die Ähnlichkeit der Wörter täuscht darüber hinweg, dass sie jeweils Unterschiedliches bedeuten. In diesem Sinne ist etwa Egglestons Foto eines Dreirades eben etwas anderes als nur ein Foto von einem Dreirad.
Im Gegensatz zu Gemälden kann man fotografische Bilder nicht ohne weiteres kopieren. Man kann ein Foto abfotografieren – was absurderweise laut Urhebergesetz eine eigene neue schützenswerte Schöpfung darstellt. Aber eine Fotografie nach einer Fotografie wirklich neu zu erschaffen, ist nahezu unmöglich. Trotzdem wird es immer wieder versucht, und zwar in einem produktiven Sinne. Es ist die Transzendenz des alten Meister-Schüler-Prinzips: Versuche, genau so ein Foto wie dieses hier zu machen, und du wirst sehen, dass es nicht geht. Das, was vom Vorbild abweicht, bist du, ist dein Stil, ist deine Zeit. Trotz allem Bestehen auf Individualität und Freiheit geben alle großen Fotografen unumwunden zu, von anderen beeindruckt und beeinflusst zu sein. So kann man die Geschichte vor- und zurücksurfen: zum Beispiel von Atget zu Walker Evans zu Robert Frank zu Ralph Gibson und von dort wieder zurück über Bill Brandt und Man Ray zu Atget.
Oft geht es dabei nur um eine spezielle Form von Energie, die das Werk der Vorbilder durchzieht. Diese Intensität ist die Norm, hinter die man als Nachgeborener nicht zurückfallen darf. Motive pflanzen sich genauso fort wie Sehweisen und werden Teil des allgemeinen Bildgedächtnisses und entwickeln sich in jeder Wiederkehr weiter. Aber immer geht es um den Anspruch, aus dem Programm auszubrechen, das in die Apparate, die Verfahren, die Erwartungen eingeschrieben ist und uns dazu anhalten will, das vorgezeichnete Universum der fotografischen Bilder vollständig auszutapezieren.
Kann Fotografie die Welt verändern? Sie kann, und zwar weil sie die Art verändert, wie wir die Welt sehen.
(Abdruck eines Vortrags an der Universität Siegen in der Hochschulpublikation «Intervention VI»)

Vorschau:
April:
Ausstellung «Bis jetzt», Forum für Fotografie Köln (17. 4. – 17. 6. 2016)
Neues Buch «Vineta» mit Bildern aus den Jahren 1985 und 1990
November: Einzelausstellung in der Galerie im Museum Tempelhof zum Monat der Fotografie

2016
Vortrag bei Recyclart, Brüssel

2015
Ausstellungsbeteiligung «City Shapes», Anzenberger Gallery, Wien
Ausstellungsbeteiligung Peperoni Books: «A Decade Of Publishing», Forum für Fotografie, Köln (13. 9. – 18. 10. 2015)
Buchveröffentlichung «Runway» bei Peperoni Books

Ausstellungsbeteiligung «Berlin Wonderland», Bikini-Haus Berlin
Buchveröffentlichung «Aphasia» bei Peperoni Books
Ausstellung bei 25books
Ausstellungsbeteiligung «Berlin Wonderland», Goethe-Institut Lyon
Aufnahme in die «Deutsche Fotografische Akademie»

2014
«Replies» erscheint auf drei Empfehlungslisten für die wichtigsten, schönsten oder interessantesten Fotobücher des Jahres 2014: Photonews Blogbook: Die Besten Fotobücher 2014sowie im Photobookstore Magazine, London: Hannes Wanderer’s Photobook Picks for 2014 und Favourite Photobooks of 2014 by Martin Amis

Präsentation von «Replies» auf der Jahrestagung der Deutschen Fotografischen Gesellschaft am 30.11.2014 in den Deichtorhallen Hamburg
Ausstellungsbeteiligung «Berlin Wonderland», Gestalten Space, Sophien-Gips-Höfe, Berlin
Buchveröffentlichung «Replies» bei Peperoni Books
Ausstellung bei 25books
Ausstellungsbeteiligung «Berlin Wonderland», Urban Spree Gallery
Beteiligung am Buch «Berlin Wonderland», Gestalten Verlag

2011
Buchveröffentlichung «Asphalt» und «Desiderata» bei Peperoni Books
Ausstellung bei 25books

2010
Buchveröffentlichung «Technik» und «Mercedes» bei Peperoni Books
Ausstellung bei 25books
Buchveröffentlichung «Von Ferne» und «Magico» bei Peperoni Books
Ausstellung bei 25books

Seit 2007
Vertretung durch die Bildagentur bobsairport

2006 – 2007
Gastprofessur an der Kunsthochschule Weissensee, Berlin

seit 1989
Bildveröffentlichungen in Zeitschriften und Zeitungen, als Platten-, CD- und Buchcover sowie als Plakatmotive

1989
Mitbegründer des Grafikbüros grappa (2001 umbenannt in blotto Design, 2014 in Troppo Design)
Erster großer Fotoauftrag (Modefotografie)

1988 / 89 / 90
Ankauf von Fotografien durch die Staatlichen Kunstsammlungen Cottbus
Ausstellungsbeteiligung «Fotografische Selbstporträts» im Kreiskulturhaus Treptow

1987
Erste Grafik-Design-Aufträge

1984 – 1989
Studium Kommunikationsmethodik, danach Grafikdesign/Fotografie/Ausstellungsgestaltung an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin-Schöneweide, Abschluß als Grafik-Designer (FH)

1982
Erste fotografische Arbeiten

1959
geboren in Riesa/Elbe

Das Fotobuch «Replies» ist strukturiert als eine Reihe von kleinen Unterhaltungen, vielleicht wie in einer kleinen Runde von Freunden, die beim Essen zusammensitzen. Einer sagt etwas, der nächste nimmt das Thema auf, dann wieder der nächste, bis alle etwas beigetragen oder auch nur beifällig genickt haben. Dann schweigt man einen Augenblick, bis das Gespräch mit einer neuen Wendung wieder auflebt.
Das Buch versammelt Bilder, die in den letzten Jahren rund um die Welt entstanden sind und die so flüchtig sind wie ein im Vorbeigehen aufgeschnappter Satz.
ist eine neurologische Störung, bei der die Patienten die lexikalische Bedeutung der Sprache nicht mehr erfassen können, wohl aber ihren emotionalen Gehalt. Sie können aus Mimik und Tonfall des Sprechers den Wahrheitsgehalt des Gesagten erraten – ohne sagen zu können, worum es eigentlich geht.
In meiner fotografischen Arbeit fasziniert mich schon immer die Diskrepanz zwischen der gegenständlichen, «richtigen» Bedeutung von Gegenständen und ihrer visuellen Erscheinung. Seit ich eine digitale Lochkamera verwende, habe ich eine Möglichkeit gefunden, die Erscheinung noch weiter zu vereinfachen und dadurch diese Spannung deutlicher sichtbar zu machen.
Ich versuche, nicht zu sagen: «So ist es», sondern: «Das ist ein Bild, das von etwas verursacht wurde, das für eine kurzen Moment so aussah, dass es mich an etwas erinnerte».

Is it possible to change the world through photography? I think it is, beacuse it changes the way we see the world.
I practice a “strret photography” of my own kind. On one hand I try never to lie, which means never to manipulate a scenery by moving something or even change the lighting. I never ever touch the things I take photographs of. On the other hand I try to remove as much as possible from the real scenery’s banal, firm every-day’s-shape to revoke it in a new world – in the picture. Whith this one can discover the beauty and the horror of the world even in the smallest pile of dirt. In the end its about telling dramas in a pattern of light and darkt blots without having an event.
I observe the reality, but in the end I need the picture, not to rediscover the the things that I shot but to discover what I only guessed while shooting. In this sense my pictures to me are devices of insight – they do not reproduce visibles but make visible.
A constant observation on all artistically working photographers is their interest in the apparent trivialities. For me there is nothing more important than these trivialities. They cannot be constructed, they must be found. If photography is able to do al least one thing than it is subversion – not to look in the direction everybody points.

In my recent publication, Replies, the images are structured like a series of small conversations, as a circle of friends might have when sat around a dining table. The first one says something, the next one picks up the theme, then the next one chips in, until everybody has said something or just quietly listened. Then there is a moment of contemplation before a new subject is picked up.
Aphasia is a neurological defect that causes sufferers to not be able to understand the lexical meaning of language although the emontional content is not affected.
From gestures and tone of voice they can surmise the truth of statements without understanding why.
In my photographic work I have always been interested in the discrepancy between the objective, real meaning of objects and their visual appearance. Since I started using a digital pinhole camera, I have found a way to further simplify their appearance to make this tension even more evident.
I try not to say: "that’s how things are", but rather "this is a picture that was caused by something, that for a short moment looked as though it reminded me of something".
Denis Brudna in: Photonews, Heft 11/2010

Andreas Trogisch stellt die Fotografie auf den Kopf. Seine überwiegend tiefschwarzen Bilder machen nicht nur deutlich, warum die monochrome Fotografie nie ganz aussterben darf, sie offenbaren zudem Erstaunliches. Trogisch rückt das sonst Tiefen und Schatten bildende Schwarz in den Vordergrund seiner Kompositionen. Die Schwarznuancen dominieren, als würden sie aus sich heraus strahlen. Es ist eine melancholische Welt, aus der Trogisch berichtet. Etwas morbide, alltagsfern, verwirrend und beunruhigend zugleich. Meditativ und voll von Energie, die fast jeder verspüren kann.
Und das Thema? Es gibt im eigentlichen Sinn kein Thema, nur die Fotografie selbst. Pur, als Zeugin jener Momente, die man als magisch bezeichnen kann. Angehaltene Zeit in Schwarzweiß, Ausschnitte des Lebens wie aus einer anderen Dimension, Alltägliches ins Surreale transformiert und immer wieder Schatten, die aus einem Urschwarz geespeist werden. Da kommt einem der Begriff «amerikanische Nacht» in den Sinn. Als Stilmittel beim Film werden hierbei Nachtszenen am Tage bei hellem Sonnenschein mit starken Graufiltern gedreht, wodurch der Eindruck nächtlicher Stimmungen simuliert wird. Viele von Trogischs Bildern vermitteln den Eindruck, sich dieser Technik bedient zu haben. Das die jeweiligen Szenen erleuchtende Licht kann von der Sonne wie vom Mond stammen.
Trogisch bleibt in seinem Schaffen konsequent. Bild für Bild sucht und findet er Motive, die sein übriges Œvre ergänzen und erweitern, ohne dabei zu sehr von der markierten Linie abzuweichen. Kritisch betrachtet könnte man auch sagen dass sich der Fotograf immer wieder selbst zitiert. Doch in diesem Fall wirken die verdenen Interpretationen einer Idee keinesfalls langweilig.
Aufmerksame Betrachter werden bei einigen Bildern ein Déjà-vu verspüren. Ja, ein Teil der in diesem Buch präsentierten Bilder wurde bereits 2011 in dem limitierten Mappenwerk «Desiderata» veröffentlicht (s. Photonews 11/2010). Das stört jedoch nicht. Erstens war die Auflage der Mappe klein und damit schnell vergriffen und zweitens kann man sie in diesem neuen Buch in einer gänzlich neuen, beeindruckenden Qualität betrachten. Ohne zu sehr in drucktechnische Details abgleiten zu wollen, ist die Wiedergabe der Bilder unbedingt erwähnenswert, weil diese daduch einen beeindrukende Präsenz erhalten haben. Die Reaktionen der Buchbetrachter sind ziemlich änhlich. Jeder, der das Buch öffnet, bleibt nach einigen Seiten hängen und streicht andächtig über die Druckseiten, um sie auch haptisch zu erfassen.
Hervorragende Zeichnung in den Lichtern und Schatten, einladende Haptik der ungestrichenen Papiers – als wären die Seiten in Kupfertiefdruck gedruckt. Dabei handelt es sich um 5-Farben-Digitaldruck, was man kaum vermuten würde. Eine spezielle Separation der Bildvorlagen und die durch Proben ermittelte Fixierung mit einem «Matt Fuser» bewirken, dass die Bilder absolut matt wiedergegeben werden, ohne dass dabei die Tonigkeit, wie sonst oft, leiden würde. Im Gegenteil, die brillianten Drucke springen einem buchstäblich ins Auge. Ein überzeugender Beleg dafür, was heute mit Digitaldruck alles möglich ist. Trogischs sehnswerte Fotografien gepaart mit dem bemerkenswerten Druck ergeben am Ende ein anregendes Fotobuch, das aus der Vielzahl der Neupublikationen eindeutig herausragt.
Vergangene Zukunft

Dies ist genau das Buch, das ich machen wollte. Aber während ich mich noch über diese kühne Idee freute, machten Regula Bochsler und Philipp Sarasin schon Nägel mit Köpfen. Sie zeigen unsere Welt gleichzeitig «hoch aufgelöst» und «in Auflösung begriffen» («high re:solution/dis:solution») (Bernd Stiegler). Dazu verwenden sie nicht ihre eigene Kamera, sondern die von Apple, so wie vor ihnen auch schon Michael Wolf Googles Street-View-Kameras benutzt hat, um seine «unfortuate events» zu finden. Bochsler und Sarasin nutzen die «Fly Over»-Funktion innerhalb von «Apple Maps», die annähernd fotorealistische 3D-Renderings vieler Städte der Welt liefert. Aber anders als noch Doug Rickard in «A New American Picture» folgen sie nicht mehr gezwungenermaßen der vom Kamerawagen abgefahrenen Spur, sondern synthetisieren sich selber ihre Ansichten von (fast) frei wählbaren Standpunkten aus, die korrekterweise «Schwebepunkte» heißen sollten, denn man kann immer nur irgendwie von oben nach unten sehen – die Freiheit endet bei 45°, auf das Straßenniveau kommt man nicht herunter und der Horizont wird einem vom Programm vorenthalten.
Die verkorksten, manchmal schemenhaften, zerschmolzenen, verbeulten, eingesackten, übel mißdeuteten Häuser, Brücken, Bäume, Raffinerien, Gräber, Schiffe, Autos lassen sich lesen als eine Allegorie auf den fatalen Glauben an die technische Erkenn- und Beherrschbarkeit der Welt.
Dabei haben die faszinierenden und verstörenden Bilder einen surrealen Charme, einen ästhetischen Reiz, der von den Unvollkommenheiten der verwendeten Technik herrührt. Trotzdem sie zum Avanciertesten gehört, was es gibt, ist sie überraschend oft nicht in der Lage, Plausibelstes zu erkennen und richtig darzustellen. Beängstigend wird das, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Verfahren, 3D-Darstellungen aus einer Reihe von Luftaufnahmen zu generieren, ursprünglich für den schwedischen Rüstungskonzern Saab entwickelt wurde und tatsächlich auch militärisch genutzt wird, beispielsweise um Drohnen zu steuern. Was «The Rendering Eye» zeigt, ist eine Entsprechung zu dem Bild, das sich nicht nur Google und Amazon in Form von automatisch generierten Nutzerprofilen von uns Menschen machen.
Ich weiß nicht, ob ich hoffen soll, dass wir hier nur die Consumerversion des «richtigen Dings» sehen, das längst schon irgendwo mit tödlicher Präzision arbeitet.

«The Rendering Eye: Urban America Revisited» von Regula Bochsler und Philipp Sarasin, Edition Patrick Frey, Zürich, 2014
Dieser Text erschien am 21.10.2014 in englischer Sprache als «Book of the Week»-Buchempfehlung im Blog von photo-eye.
Future Passed

This is exactly the book that I wanted to make. But while I was still appreciating this bold idea, Regula Bochsler and Philipp Sarasin were already stepping to the plate. They simultaneously show our world in “high re:solution” and “dis:solution” (Bernd Stiegler). They didn’t use their own camera in the process, but rather Apple’s, the way Michael Wolf had also already used Google’s street view cameras in order to find his “unfortunate events”.
Bochsler and Sarasin use the “fly over” function within “Apple Maps”, which delivers almost photo-realistic 3D rendering of many of the world’s cities. But in contrast to Doug Rickard in “A New American Picture”, they weren’t forced to follow the traces that the camera car had made; instead, they synthesized their own views from positions that were (almost) freely chosen. In fact, it would be more correct to call them “hovering points”, because you can always only somehow look down from above – freedom ends at 45°. You never make it down to street level, and the program deprives you of a horizon.
The screwed up, sometimes schematic, melted, dented, shrunken, brutally misrepresented houses, bridges, trees, refineries, graves, ships and cars can be read as an allegory of the fatal belief in the technical distinguishability and controllability of the world.
But the fascinating and disturbing images have a surreal charm, an aesthetic attraction that originates from the implemented technology’s imperfection. Although it belongs to the most advanced in existence, this technology is often – surprisingly often – unable to recognize and correctly represent the most plausible things. This is a frightening thought when one considers that the process of generating 3D images from a series of aerial photos was originally developed for the Swedish arms manufacturer Saab and is also currently used militarily – for example, to steer drones. “The Rendering Eye” shows the equivalent of the image that Google, Amazon and others have of us from automatically generated user profiles. I’m not sure if I should hope that we are only seeing the consumer version of a “real thing” which has long since been operating somewhere with lethal precision.

«The Rendering Eye: Urban America Revisited» by Regula Bochsler and Philipp Sarasin, published 2014 by Edition Patrick Frey in Zurich, Switzerland.
This text was written for the «Book of the Week»-series in the blog of photo-eye and was published on 21.10.2014
Das Fotoprojekt «Runway» knüpft an die Serien «Asphalt» und «Technik» aus der Desiderata-Reihe an.
An «Asphalt» offensichtlich aus motivischen Gründen, aber in einer anderen, ‹sachlichen› Sichtweise, ohne eine den Gegenstand kommentierenden Veränderung durch Licht und Schatten, Feuchtigkeit, Perspektive. Mit «Technik» hat das Projekt gemeinsam, dass es die Veränderung von Stofflichem durch den Menschen untersucht. Es handelt sich dabei um Veränderungen, die ein Funktionieren in einer bestimmten Absicht bezwecken, aber sich dabei immer der offensichtlichen Übermacht der inner- und außermenschlichen Natur zu erwehren haben: dem Versagen, dem Verfall, der Eigenmächtigkeit der Materie in Form von Gravitation, Korrosion oder Erosion. Dasunerreichte Vorbild in diesem Sinne ist ein anonymes Foto in der surrealistischen Zeitschrift «Minotaure» von 1937. Es zeigt eine von Pflanzen überwucherte Lokomotive, die mit letzter Kraft gerade dem Dschungel entflohen zu sein scheint, aber immer noch mit ihm verschlungen ist, so daß sie keinen Zentimeter mehr vorankommt und rostend darauf wartet, daß der Wald sie endlich doch verschlingen wird. André Breton kommentierte dieses Bild als «Dokument des Triumphes und der Kata­strophe zugleich».
Was eigentlich eine rein weiße, scharf und gerade begrenzte Fläche sein sollte, erscheint in Wirklichkeit als zerklüftete, dramatische Mikrolandschaft, die man in Bildform geradezu musikalisch lesen kann.
Schon im Ansatz leicht verfehlt – selbst die äußerst primitive Konstruktion wird auf dem Asphalt nicht genau umgesetzt – ist das weitere Schicksal dieser Zeichen ungewiss, ebenso wie ihre Herkunft: es lässt sich nämlich selbst mit hartnäckigster Recherche im Dunkel der verschiedenen Zuständigkeits- und Eigentümerwechsel nicht mehr ermitteln, welche Firma sie wann hergestellt hat. Zudem tragen die Landebahnen, da sie ja nicht mehr angeflogen werden dürfen, riesige Kreuze, sogenannte «Schließungsmarkierungen», die allerdings schneller verwittern als das, was sie außer Kraft setzen sollen. (Aus dem Beileger zum Buch «Runway»)

Peter Lindhorst schrieb noch vor Erscheinen des Buchesdiesen Artikel.
Vineta

besteht aus zwei Serien von Bildern aus der untergehenden DDR: Porträts aus dem Jahr 1985 und Stadtlandschaften aus dem Jahr 1990, den letzten Monaten vor der Wiedervereinigung.
«Vineta, das war eine Art Ost-Atlantis. In den Polytechnischen Oberschulen der DDR kannte jedes Kind die Sage von der Stadt, die in der Ostsee untergegangen war. Die untergehen musste. Denn Vinetas Bewohner waren undankbar gewesen. Sie wussten nicht zu schätzen, was sie hatten. Selbst eine letzte dringende Warnung vor ihrem eigenen Ende schlugen die Vineter in den kühlen Ostseewind. Am Ende riss eine Sturmflut die Stadt mit Mann und Maus hinab auf den Meeresgrund. Bis heute meinen Spökenkieker, Vineta tief unten am Grund schauen, die Schläge der goldenen Kirchenglocken aus dem Wellenrauschen heraushören zu können. […]
Die Vineter missachteten, was sie hatten. Nicht ihre Schuld. Schuld war das große Fremdgewordensein mit dem eigenen Land. Schuld war die kleine innere Freiheit, die jeder sich abgesteckt hatte wie ein Gärtchen. Eine Freiheit, die mehr galt als ein gültiger Pass. Ein Verbundensein unter den Hiergebliebenen, ein Loslassen der Flüchtenden, ein Sehnen nach dem Anderen, von dem man doch nicht so recht wusste, was das sein soll.»
(Aus dem Begleittext von Anja Maier)

Andreas Trogisch: Vineta
118 Seiten, 55 Schwarz/weiß-Abbildungen in Triplexdruck
18,1 × 25 cm, Steifbroschur, Englisch/Deutsch
Mit einem Text von Anja Maier
Erscheint im Frühjahr 2016 bei Peperoni Books
Runway

enthält nichts als die Reproduktion eines Streifens der sogenannten «centre line» der Start- und Landebahn 09R/27L des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
Der 30 m lange Streifen ist vollständig wiedergegeben und entfaltet in seinem Detailreichtum eine ganz eigene Faszination.
Eine Tour durch das Buch gibt es hier und mehr Informationen dazu in dem Faltblatt, das dem Buch beiliegt.
«A crazy, great, consistent, minimalistic masterpiece.» - Josef Chladek

Andreas Trogisch: Runway. Der 12. Streifen der Centre Line der Landebahn 09L / 27R des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof, April 2014
30 × 40 cm, 42 Seiten
Japanische Klebebindung
Hardcover mit Siebdruck
Gestaltung: Troppo Design, Berlin
Druck: Heenemann Druck GmbH, Berlin
Herstellung: buks! Berlin
Peperoni Books, Berlin 2015
ISBN 978-3-941825-36-9
Numeriert und signiert.

Bestellungen ausschließlich über 25books, Berlin.
Aphasia

ist 2015 als Buch mit 23 Bildern auf 48 Seiten bei Peperoni Books erschienen.
Aphasie ist eine neurologische Störung, bei der die Patienten die lexikalische Bedeutung der Sprache nicht mehr erfassen können, wohl aber ihren emotionalen Gehalt. Sie können aus Mimik und Tonfall des Sprechers den Wahrheitsgehalt des Gesagten erraten – ohne sagen zu können, worum es eigentlich geht.
In meiner fotografischen Arbeit fasziniert mich schon immer die Diskrepanz zwischen der gegenständlichen, «richtigen» Bedeutung von Gegenständen und ihrer visuellen Erscheinung. Seit ich eine digitale Lochkamera verwende, habe ich eine Möglichkeit gefunden, die Erscheinung noch weiter zu vereinfachen und dadurch diese Spannung deutlicher sichtbar zu machen.
Ich versuche, nicht zu sagen: «So ist es», sondern: «Das ist ein Bild, das von etwas verursacht wurde, das für eine kurzen Moment so aussah, dass es mich an etwas erinnerte».

Jedes der 250 Exemplare hat ein 3D-Lenticularbild als Titel!

Andreas Trogisch, «Aphasia»
Peperoni Books 2015
48 Seiten, 22 Schwarz/weiß-Abbildungen
18,8×25 cm, offene Fadenheftung
Lenticularbild
Englisch/Deutsch/Italienisch/
Hebräisch/Chinesisch
ISBN 978-3-941825-74-1

Bestellen bei 25books, Berlin.
Replies

ist 2014 beiPeperoni Bookszum Preis von 58,– € erschienen.
Das Buch ist strukturiert als eine Reihe von kleinen Unterhaltungen, vielleicht wie in einer kleinen Runde von Freunden, die beim Essen zusammensitzen. Einer sagt etwas, der nächste nimmt das Thema auf, dann wieder der nächste, bis alle etwas beigetragen oder auch nur beifällig genickt haben. Dann schweigt man einen Augenblick, bis das Gespräch mit einer neuen Wendung wieder auflebt.
Das Buch versammelt Bilder, die in den letzten Jahren rund um die Welt entstanden sind und die so flüchtig sind wie ein im Vorbeigehen aufgeschnappter Satz.

Gleichzeitig erschien in einer Auflage von 50 Exemplaren eine Vorzugsausgabe im Schuber mit einem signiertem Print zum Preis von 160,– €.
Nominiert für den Fotobuchpreis 2015 des Deutschen Börsenvereins. Als eines der wichtigsten, schönsten oder interessantesten Bücher des Jahres gelistet auf: Photonews Blogbook: Die Besten Fotobücher 2014, im Photobookstore Magazine, London: Hannes Wanderer’s Photobook Picks for 2014 sowie Favourite Photobooks of 2014 by Martin Amis

Andreas Trogisch, «Replies.
Thirteen small conversations»
Mit einem Gedicht von Christian Morgenstern
Peperoni Books 2014
176 Seiten, 140 Schwarz/weiß-Abbildungen
24x30 cm, Hardcover, Englisch/Deutsch
gedruckt bei Wanderer/Bookfactory
ISBN 978-3-941825-65-9

Bestellen bei 25books, Berlin.
Desiderata

Die Serien «Von Ferne», «Magico», «Mercedes», «Technik», «Asphalt» und «Desiderata» sind 2010/2011 jeweils in einer Auflage von 100 numerierten und signierten Heften in einer Box bei Peperoni Books erschienen und leider vergriffen.

Andreas Trogisch
Wilhelmine-Gemberg-Weg 10
10179 Berlin

Deutsche Fotografische Akademie

+49(0)171 7 77 98 64

fotoandreastrogisch.de

Links
→ Peperoni Books
→ Andreas Trogisch: Blog
→ Troppo Design
→ Aktuelles Buch «Runway» bei 25books
→ bobsairport
→ art photo index
→ LensCulture
→ Interview: MonoVisions
→ Interview: Vice/Fotografie

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